Hüter in Ausbildung

5. Die neue Nanny

Seit Selma gekündigt worden ist, ist Charlenes Schwester Catherine im Haus. Catherine ist erst vierundzwanzig und hat im Moment keinen Job. Ihre ältere Schwester weiß von der Misere und hat Catherine gezwungen, bei Vicky zu bleiben und sie zu versorgen, während Charlene am Set ist. Catherine, kurz Cathy genannt, mag die kleine Vicky, ist aber etwas überfordert. Niemand, außer Emma, hat beobachtet, wie unbeholfen Cathy das Baby wickelt. Beim Füttern gibt es keine Probleme und ansonsten auch nicht. Das Windelnwechseln ist aber für Cathy das Schlimmste. Deshalb wickelt sie die Kleine nicht am Wickeltisch, sondern auf einer Decke am Boden. Emma ist auf jeden Fall erleichtert. „Na, du stinkst aber schon wieder sehr streng, Vicky“, sagt Cathy etwas amüsiert. Sie hebt nach dem Wickeln das Baby hoch und wiegt es sanft hin und her. Es ist Zeit für ein Schläfchen und Cathy möchte eine kleine Pause, um mit ihren Freundinnen zu chatten. Cathy legt Vicky in ihr Bettchen und deckt sie zu. Emma staunt nicht schlecht, als Cathy plötzlich mit ruhiger Stimme zu singen beginnt. Die junge Dame hat echtes Talent. Vielleicht hat sie den Beruf verfehlt, denkt Emma. Als Vicky die Augen zugemacht hat, verlässt Cathy das Kinderzimmer und macht es sich auf der Couch gemütlich. Aber mit der Ruhe ist es sogleich vorbei, denn Charlene kommt früher nach Hause. „Hey, ich bin da. Die neuen Nannys bewerben sich heute. Du kannst gehen, Cathy. Ich rufe dich dann an, ob ich dich als Nanny noch brauche.“ Kein „Danke“, kein „gut gemacht“, nichts. Typisch Charlene. Cathy antwortet nur mit einem genervten Blick und schnappt sich ihre Tasche. Während sie aus der Tür geht, sagt sie: „Tschüss!“ Charlene ignoriert ihre Schwester und geht in die Küche und schaltet die Kaffeemaschine ein. Sie ist bereit für die Bewerberinnen. Emma spürt die Anspannung von Charlene, denn sie braucht die Nanny. Da klingelt es bereits an der Tür. Eine nach der anderen kommt und stellt sich vor. Charlene scheint von einer Frau besonders angetan zu sein. Emma nicht. Sie spürt bei dieser Frau, dass sie nicht die Leidenschaft mitbringt, die Selma hatte. Im Gegenteil, diese Frau gehört eigentlich zum Militär, anstatt zum Kinderdienst. Sie wirkt wie ein Soldat. Berechnend und steif, ohne jegliche emotionale Regung. Das ist nicht gut, denkt Emma. Charlene bringt die letzte Bewerberin zur Haustür und schnappt sich ihr Handy. „Hallo Peter, ich hab eine Nanny. Nur für dich zur Information. Wann kommst du heim?“ Charlene lauscht Peters Stimme und antwortet danach: „Gut, dann bis morgen.“ Charlene legt das Handy auf die Kommode und geht in das Kinderzimmer. Vicky ist gerade aufgewacht und verlangt lautstark nach ihrer Flasche. „Ja, ja, ich komme schon“, mault Charlene. Emma ist echt nervös und hofft von Herzen, dass die Wahl auf eine der anderen Nannys fällt. Aufmerksam sieht sie zu, wie Charlene ihre Tochter füttert und wickelt. „Ich habe eine besonders gute Nanny für dich, meine Kleine. Die ist zwar etwas streng, aber dann wird auch was aus dir.“ Oje, sie meint doch nicht den weiblichen Soldaten. Emma hofft immer noch auf eine andere Kandidatin.

Am nächsten Morgen klingelt es an der Tür und Charlene begrüßt die neue Nanny. Es ist nicht der Soldat, aber Emma spürt trotzdem, dass mit der Frau etwas nicht stimmt. Die Energie, die von dieser Frau Mitte dreißig ausgeht, ist dunkel und böse. Emma hält die Schwingungen fast nicht aus. Diese Frau war nicht unter den Bewerberinnen von gestern. Sie muss Charlene woanders getroffen haben. „Hallo, Frieda. Schön, dass Sie gekommen sind. Das hier ist Ihr neuer Schützling. Das ist Victoria, kurz Vicky.“ Charlene hält der neuen Nanny das Baby hin. Als die Nanny es auf den Arm nimmt, beginnt Vicky sofort zu weinen. Scheinbar spürt das Baby ebenfalls diese Schwingungen. Emma ist verzweifelt, „Ich muss auch schon los. Da hinten ist das Kinderzimmer, hier die Küche. Die Flaschen sind auf dem oberen Regal, die Windeln in der Kommode im Kinderzimmer. Den Rest finden Sie bestimmt alleine. Ich bin spät dran, kann ich Sie alleine lassen?“ Charlene schnappt sich die Handtasche, während sie auf die Antwort der Nanny wartet. „Natürlich, wir schaffen das schon, stimmt’s Vicky?“ Das Baby scheint noch eine Oktave höher zu schreien. „Super, danke, Sie retten mir den Tag. Ich bin gegen sechzehn Uhr wieder da. Danke.“ Charlene flitzt aus dem Haus und schließt die Tür. Vicky beruhigt sich nicht. Da sagt die neue Nanny: „Wenn du nicht gleich still bist, dann setzt es was.“ Das Baby scheint auf seine Art zu spüren, dass es brenzlich ist und schluchzt nur mehr leise vor sich hin. Frieda nimmt das Baby mit ins Kinderzimmer und legt es ins Bettchen. Danach geht sie in die Küche und macht sich einen Kaffee. Das Baby weint immer noch, aber sehr leise. Frieda scheint das nicht zu stören und summt vor sich hin. Emmas Herz scheint zu zerbrechen. Was soll sie nur tun?

2 Comments

  • Eva Fürtinger

    Hallo Martina.
    Ich bin sehr begeistert von deinem Blog.
    Besonders “Hüter in Ausbildung” hat es mir angetan und ich freue mich immer auf die Fortsetzung.
    Vielleicht solltest du auch daran denken ein Buch zu schreiben.

    Liebe Grüße Eva 😘

    • Martina Zöchinger

      Liebe Eva,
      Danke für Deinen lieben Kommentar. 🙂 Ich werde darüber nachdenken 😉 Ich wünsche Dir einen schönen Muttertag 🙂 Liebe Grüße mARTina

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error: Na na na, wer wird denn hier meinen Inhalt mitnehmen ;-) Versuch doch einmal selber eine Geschichte zu schreiben :-)