Hüter in Ausbildung

1. Der Beginn eines langen Weges

Nach einem theoretischen Kurs kehrt Emma heute auf die Erde zurück. Sie wird ihrem ersten Menschen zugeteilt. Dieser Umstand macht sie sehr nervös. Das kleine Mädchen, das Emma kennenlernen soll, kommt heute auf die Welt. Diese Seele hat noch so einiges vor sich, da der kurze Ausblick in eine wahrscheinliche Zukunft düster ist. Die „wahrscheinliche“ Zukunft deshalb, weil jede Entscheidung eines Menschen auf der Erde das Leben verändern kann. Es gibt aber für jeden Menschen einen Plan und eine Bestimmung und aufgrund dieser Tatsache kann man ein wenig in die Zukunft dieses Menschen sehen. Das hilft beim Beschützen, denn das ist Emmas Aufgabe. Sie ist ein Hüter in Ausbildung. Hektor, ihr Mentor, wartet bereits auf einer Parkbank vor dem Krankenhaus auf sie. Emma setzt sich zu ihm. „Guten Morgen Emma. Wie geht es dir?“, fragt Hektor. „Gut so weit, ich bin aufgeregt.“ „Das wundert mich nicht. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen Probeschützling. Heute ist er selbst ein Hüter, ein wunderbarer noch dazu. Hier ist das Krankenhaus, in dem Victoria auf die Welt kommt. Die Mutter ist schon im Kreißsaal.“ „Wie lange wird die Geburt dauern, Hektor?“, fragt Emma vorsichtig. „Was hast du im Kurs gelernt, Emma? Zeit spielt für uns keine Rolle mehr. Geh zu ihnen und warte. Der erste Schutzzauber muss sofort nach der Geburt erfolgen.“ „Ja, klar. Ich bin bereit.“ Hektor erhebt sich von der Bank. Emma tut es ihm gleich. Hektor umarmt Emma und sagt: „Na dann, auf in das Abenteuer. Du schaffst das und du wirst sehen, dass es auch Spaß macht. Vor allem im Kleinkindalter sind die Schützlinge lustig.“ Emma lächelt zaghaft und sieht zu, wie Hektor verschwindet. Er könnte sich auch einfach auflösen. Hektor bevorzugt die altmodische Art, einen Ort zu verlassen. Emma muss schmunzeln und dreht sich zum Krankenhaus um. „Los geht’s!“ Sie betritt das Krankenhaus, indem sehr viel Aufregung herrscht. Als Hüterin spürt sie alle Emotionen und hat Mühe, diese auszublenden. So viele Menschen haben Schmerzen und sind verzweifelt. Eilig durchquert Emma die Notaufnahme und bewegt sich Richtung Kreißsaal. Hüter sollen sich wie Menschen bewegen, damit sie die Verbindung zur Erde halten. Aus der Tür zum Kreißsaal klingen die Schmerzschreie einer zukünftigen Mutter. Es ist Victorias Mutter, die versucht, Victoria aus ihrem Leib zu pressen. Emma stellt sich in eine Ecke und beobachtet die Szenerie. Zwei Hebammen und ein Arzt versuchen, das Kind auf die Welt zu holen. Victorias Mutter Charlene hat einen roten Kopf und die Augen fest zusammengedrückt. Die Beine sind angewinkelt und je eine Hebamme hält ein Bein. Emma spürt Victorias Energie schwächer werden. Irgendwas stimmt hier nicht. Der Arzt murmelt der Hebamme etwas zu und diese wendet sich an Charlene. „Frau Williams, wir müssen einen Kaiserschnitt machen. Das Baby steckt fest.“ „Oh mein Gott, sie wollen meinen perfekten Bauch aufschneiden? Sind Sie wahnsinnig? Die Narben gehen nie wieder weg!“ Durch die Aufregung über den Kaiserschnitt gleitet das Baby plötzlich aus dem Leib der tobenden Mutter in die Hände des Arztes. Emma spürt, dass Victoria noch nicht über den Berg ist. Sie bündelt all ihre Kraft und sendet sie an Victoria. Ein Schrei. Das kleine Baby atmet. Der erste Schutzzauber hat funktioniert. Emma ist sehr erleichtert, sie hat die erste Aufgabe gemeistert. Victoria ist ein wunderschönes kleines Mädchen. Durch die plötzliche Geburt sind alle etwas verwirrt. Eine Hebamme nimmt das kleine Bündel und bringt es zur Wickelkommode. Nachdem der Arzt das Kind untersucht hat, wird es gewaschen, angezogen und der Mutter gegeben. Charlene wird plötzlich von Muttergefühlen überwältigt. Emma hat davon in der Ausbildung gehört. Auch Rabeneltern können die Instinkte der Natur nicht gänzlich abschalten. Bei Charlene entwickelt sich in diesem Moment die erste Bindung und sie hält das kleine Bündel liebevoll fest. Eine Träne fließt über ihre Wange. Im zweiten Moment jedoch mischt sich der Charakter der Mutter ein und sie sagt: „Nehmen Sie das Kind. Ich möchte jetzt schlafen, sonst habe ich morgen Augenringe.“ Die Hebamme nimmt Victoria fort und bringt es in das Kinderzimmer. Emma spürt die Einsamkeit der kleinen Victoria. Jetzt ist es an ihr, die Wärme, die fehlt, zu ergänzen. Sie konzentriert sich und schickt dem Baby etwas von ihrer unerschöpflichen Energie. Die Hebamme füttert Victoria mit einem Fläschchen und legt es zum Schlafen in das kleine Bettchen. Das Baby gluckst fröhlich und schläft ein. Die Atmosphäre in diesem Raum ist überwältigend. So viele kleine Seelen. Die Mütter, die ihre Kinder gerade stillen, sind voller Liebe. Emma saugt die positive Energie des Raums auf. Dann schaut sie der kleinen Victoria beim Schlafen zu.

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error: Na na na, wer wird denn hier meinen Inhalt mitnehmen ;-) Versuch doch einmal selber eine Geschichte zu schreiben :-)