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Eine Frage der Perspektive – Textinterpretation von Mitch Zöchinger

Die Aufgabe war eine Textinterpretation. Mein Ansatz war die Perspektive des Schmetterlings:

Der Kurzprosatext „Geschichte eines Genies“ von Arthur Schnitzler wurde im Jahr 1907 veröffentlicht und erzählt die Geschichte eines einsamen Schmetterlings, dessen einzige Sünde es ist, einen Tag zu früh zu sein.

Der Hauptcharakter dieser Geschichte ist ein Schmetterling, der arroganter nicht sein könnte. Er kommt auf die Welt, es ist gerade mal März, noch sehr früh und kühl für vielerlei Insekten. Doch das Frieren hält ihn keineswegs davon ab, die höchst interessante Welt zu erkunden. Er erblickt viel. Zwei Mädchen, die von dem Anblick des Insekts entzückt sind, Reiter und sogar eine Schafherde. Doch nach so vielem Reisen wird er hungrig, er segelt gen Boden, doch im März blühen nur selten Blumen. Der Schmetterling bleibt hungrig, versucht sich sogar an einem Samthut, doch satt macht ihn das nicht. Als letzten Versuch möchte er etwas von einer Suppe probieren, die gerade am Tisch einer Familie serviert wird. Eines der Kinder schnappt ihn prompt bei den Flügeln und bestaunt ihn aus nächster Nähe, bevor der Vater ihn rügt. Das Kind lässt den Schmetterling los und er kann weiter fliegen. Nun wird er müde, die Reise, die hinter ihm liegt, so lang, die Luft so schrecklich kalt, er legt sich an den Rand einer Straße. Der Frost hüllt ihn ein und hält ihn bis in den Morgen fest. Am nächsten Tag fliegt eine große Gruppe an Schmetterlingen über ihn hinweg. Er freut sich kurz, immerhin hat er bereits geglaubt, der einzige seiner Art zu sein. Gerade erfreut er sich der neu erkannten Chance auf Gesellschaft, da wird er von einem Bierwagen überfahren.

Der Prosatext ist in der Auktorialen Erzählform verfasst; der Erzähler weiß mehr als der Schmetterling und erzählt dem Leser, was das Insekt gerade tut oder sagt. Was besonders auffällt, sind die vielen Stilmittel, die der Autor eingebaut hat. Mehrere Aufzählungen sind gleichmäßig über den Text verteilt; Personifikationen hauchen den Objekten um den Schmetterling herum Leben ein. Durch dieses häufige Verwenden von Stilmitteln lässt sich der Text sehr gut lesen und gibt dem Leser ein besonders detailliertes Bild von der tragischen Geschichte des Schmetterlings.

Der Schmetterling ist ein äußerst unschuldig wirkendes Insekt. Die bunten Farben, das schüchterne Wegfliegen, wenn ein Mensch zu nahe kommt, und die Zerbrechlichkeit geben uns dieses idyllische Bild eines süßen Schmetterlings. In diesem Prosatext jedoch ist der Schmetterling als das Genie seiner eigenen Geschichte dargestellt. Er ist arrogant und hält sich für schlauer als alle anderen. Er kommt auf die Welt und stellt sich instinktiv über jegliche andere Lebewesen. Sein letzter Gedanke, bevor er stirbt, gilt dem Ort seines Denkmals, denn das wird ohne Zweifel errichtet werden.

Doch warum ist es der direkte Instinkt des Lesers, den Schmetterling zum Bösewicht zu machen? Zugegeben, er ist arrogant, einfältig und sehr überzeugt von sich selbst, doch wie verhalten sich Menschenkinder? Man darf nicht vergessen, dieses Lebewesen ist gerade auf diese Welt gekommen, sie ist groß und voller Möglichkeiten, alles ist voller Farben und wartet nur darauf erforscht zu werden. Doch wo kommt das Essen her? Wer kümmert sich um mich? Ich bin doch die wichtigste Person in diesem Raum? Nun fragt man sich, handelt es sich in den letzten Sätzen um den Schmetterling oder ein Kind?

Der Schmetterling steht für die menschliche Unschuld. Er denkt in Schwarz und weiß, entweder etwas ist für oder gegen ihn, wobei definitiv alles für ihn sein sollte. Der Schmetterling, der doch eigentlich nur einen Tag zu früh war, verkörpert die kindliche Art zu denken. Ja, Kinder halten sich für den Mittelpunkt des Planeten, sie sind ihre eigene Priorität, bevor die Welt, unsere Gesellschaft, sie umformt. Sie fangen an, andere Prioritäten zu setzen, sie vernachlässigen sich und gehen ein wie eine verwelkte Blume. In diesem Fall ist der Schmetterling von einem Bierwagen überfahren worden.

Vielleicht ist es nicht die Arroganz, die den Schmetterling so unsympathisch macht, nicht seine Naivität oder der Egoismus. Sein letzter Gedanke galt seinem Denkmal, wie ungeheuer eingebildet kann man sein? Nein, nur vielleicht mag der Leser ihn deshalb nicht, weil er etwas verkörpert, das wir alle vor vielen Jahren verloren haben. Eine Denkweise, die uns in den Mittelpunkt stellt und die Welt mit einer solchen Naivität betrachtet, dass sie ja nur gut zu uns sein kann. Vielleicht vermissen wir es, ausschließlich das Gute in uns zu sehen.

🥰

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error: Na na na, wer wird denn hier meinen Inhalt mitnehmen ;-) Versuch doch einmal selber eine Geschichte zu schreiben :-)