Ursache und Wirkung

Vorsicht mit Sauerkraut

Karl ist Versicherungsvertreter. Seiner Meinung nach ist er der beste Vertreter der Versicherungsgesellschaft. Er ist sehr ehrgeizig und manchmal etwas „trickreich“, was seine Fälle betrifft. Jedes halbe Jahr vergibt die Gesellschaft einen Preis für außerordentlichen Eifer. Die Prämie für den Gewinner beträgt zweitausend Euro. Die könnte Karl gut gebrauchen, denn er spielt gerne. Onlinecasinos sind seine Art der Entspannung. Dieses Mal scheint ihm aber jemand anderer im Büro den Rang abzulaufen. Stefan aus dem Nachbarbüro ist sehr fleißig und vor allem viel zu freundlich zu den Kunden. Karl hasst ihn, seine Art zu atmen und gehen, einfach alles. Dieser Schönling schafft es sogar, dass die anderen Kollegen ständig bei ihm herumhängen. Igitt, denkt Karl bei sich. Er hat nur mehr eine Möglichkeit, seine Prämie zu erhalten. Er muss schummeln, was bedeutet, er bleibt heute länger und macht eine Session beim Aktenvernichter. Aber nicht bei seinen eigenen Akten, sondern bei Stefans Akten. Das wird ihn durcheinanderbringen und vom Arbeiten abhalten. Denn laut Chef hat Stefan nur zwei Fälle mehr bearbeitet, dieses Halbjahr. Karl wartet, bis alle aus dem Büro verschwunden sind. Er schleicht sich in Stefans Büro und schnappt sich schnell die obersten vier Akten. Das wird ein Papier-Schnipsel-Fest. Während er die Papiere in den Aktenvernichter gibt, genehmigt er sich ein leckeres Sandwich und ein Bier. Es ist Dienstschluss und ein Bier geht immer. Die Schadenfreude erhebt ihn schon heute, dann wird morgen so richtig seine Stimmung gehoben. Wenn Stefan seine Akten sucht, wird Karl sich ins Fäustchen lachen. Als er die Akten komplett geschreddert hat, fährt er mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage, wo sein Auto steht. Da staunt Karl nicht schlecht, denn sein Auto hat einen platten Reifen. Verdammt. Er muss ein Taxi nach Hause nehmen und den KFZ-Notdienst anrufen, für den er ein Vermögen bezahlt.

Aber nicht einmal dieser Umstand trübt seine Schadenfreude. Nachdem er ein Taxi gerufen hat, wartet er vor dem Bürogebäude. Er blickt auf die gegenüberliegende Seite der Straße und verflucht sich selbst, denn dort ist ein Taxistand. So muss er die Rufgebühr des anderen Taxis bezahlen. Mist! Macht nichts, das andere Taxi kommt schon. Er setzt sich hinein und gibt dem Fahrer eine Adresse. Karl ist etwas paranoid, deshalb gibt er den jeweiligen Taxifahrern immer eine Adresse, die einen Block von seiner entfernt ist. Ein nächtlicher Spaziergang macht ihm nichts aus. Als Karl in der Nachbarschaft aussteigt, fängt es an zu regnen. Das ist aber verhext heute, denkt er bei sich. Schnell läuft er zu seinem Haus. Kurz bevor er sein Gartentor erreicht, rempelt ihn ein Radfahrer von hinten an. Karl flucht und schreit ihm Schimpfworte entgegen.

Er hat seinen Garten auch schon erreicht. Er geht zum Hauseingang und öffnet die Tür. Seine Frau Isabella wartet schon ungeduldig auf ihn. Im Moment läuft die Ehe nicht so gut, er möchte seine Ruhe haben und sie will ständig etwas unternehmen. Das geht Karl auf den Geist. Und in diesem Moment geht sie ihm auch auf den Geist. „Wo bist du so lange gewesen, ich warte eine halbe Ewigkeit. Ich habe heute das Auto kaputt gemacht. Bin in einen Laternenmast gefahren.“ „Wie viel ist kaputt am Auto?“ „Mir geht’s prima, danke der Nachfrage. Der Kotflügel und die Stoßstange sind hin. Was darunter hin ist, weiß ich nicht, weil die Werkstatt noch nicht angerufen hat.“ „Na gut. Dann werden wir morgen sehen. Immerhin ist die Versicherung ganz neu und nicht billig. Sogar ohne Selbstbehalt, dafür hab ich gesorgt. Also mach dir keine Sorgen“, erwidert Karl. Er geht in die Küche, um sich noch ein Bier zu genehmigen und setzt sich an den Fernseher. „Ich habe Essen gemacht, möchtest du nichts?“, fragt Isabella mittlerweile sehr gereizt. „Nein, ich hab im Büro gegessen“, antwortet Karl. Isabella zieht sich in ihr Schlafzimmer zurück. Sie schlafen mittlerweile getrennt, weil Karl angeblich so viel schnarcht. Er selbst denkt darüber zwar anders, aber es soll ihm recht sein. Meistens schläft er sowieso auf der Couch ein. Wie auch dieses Mal.

Am nächsten Morgen sucht er verzweifelt seine Brieftasche. Dann fällt ihm plötzlich der Radfahrer von gestern ein. Dieser miese Dieb hat ihm seine Brieftasche geklaut. Er muss nach der Arbeit zum Polizeirevier und eine Anzeige machen. Die sollen den Dieb schnappen, das ist ihr Job. Auf dem Weg zum Büro hält er an seinem Lieblingskaffeehaus, aber das hat heute geschlossen. An der Eingangstür steht, dass das Gesundheitsamt die Bude geschlossen hat. Das ist einfach unglaublich. Ohne seinen Cappuccino ist er nicht er selbst. Im Büro angekommen, ist er so richtig schlecht gelaunt. Der Tag kann eigentlich nur besser werden. Er nimmt das Handy aus seiner Tasche und sieht, dass Isabella fünfmal angerufen hat. Wie lästig kann man eigentlich sein? Er wählt ihre Nummer. „Hallo Karl, die Werkstatt sagt, dass die Versicherung den Schaden nicht deckt. Sie wollen mir aber nicht sagen, warum genau. Ich hab doch den unterschriebenen Vertrag rechtzeitig mit der Post versandt. Bitte, prüf das kurz, okay? Danke.“ „Macht ich. Ciao.“ Als ob er nicht genug zu tun hätte. Er muss sein Level halten, sonst überholt Stefan ihn wieder. Er setzt sich an seinen Computer und sieht nach, wer die Akte bearbeitet hat. Seine Kinnlade fällt Richtung Boden. Stefan ist als Sachbearbeiter zugeteilt worden. Niemand in der Firma darf seine eigenen Polizzen bearbeiten. Firmenpolitik. Verzweifelt überlegt er, ob der Vertrag bei den geschredderten Unterlagen dabei sein könnte. Denn da steht ein Eingangsstempel drauf. Dieser Stempel bestätigt, dass der Vertrag zeitgerecht eingelangt ist. Karl hat die obersten vier Unterlagen zerstört. Seine Unterlagen waren bestimmt dabei. Verdammt, verdammt, verdammt. Karl stampft auf den Boden. Stefan geht in dem Moment an seinem Schreibtisch vorbei. „Was ist los, Karl? Du scheinst dich zu ärgern.“ Stefan hat wieder dieses selbstgefällige Grinsen im Gesicht. „Stefan, du Wunderkind, kannst du mir sagen, ob du die Vertragsdaten für meine KFZ-Polizze schon eingegeben hast?“ „Oh, nein, das wollte ich gleicht heute früh machen. Aber ich kann ein paar Akten nicht finden. Die Reinigungskraft hat sie vielleicht woanders hingelegt. Wenn ich sie finde, mache ich deine Polizze als Erstes. Okay?“ Karl fällt in sich zusammen. Was soll er denn jetzt machen? Die Reparatur kostet ihn bestimmt ein Vermögen. „Ich habe gestern noch andere Akten mit nach Hause genommen. Die habe ich bereits bearbeitet. Jetzt hab ich genug Zeit für deine Akte. Worum geht es denn? Brauchst du eine Kopie?“ Was, er hat noch mehr Akten? Jetzt explodiert Karl gleich. Ohne Stefan eine Antwort zu geben, steht Karl auf und geht auf die Toilette. Er setzt sich auf die geschlossene Klobrille und legt das Gesicht in die Hände. Kosten für die Autoreparatur und keine Prämie. Die Kosten für den Notdienst von gestern und einen neuen Reifen für sein eigenes Auto. Seine Brieftasche ist auch weg, da waren auch dreihundert Euro drin. Er blickt auf und auf der Toilettentür steht: „Ursache und Wirkung.“ Darunter steht noch: „Wenn du Sauerkraut isst, dann sitzt du eine Weile, glaub mir. Jede noch so kleine Handlung hat Auswirkungen auf dein Leben.“ Der Grinse-Smiley scheint Karl auszulachen.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

error: Na na na, wer wird denn hier meinen Inhalt mitnehmen ;-) Versuch doch einmal selber eine Geschichte zu schreiben :-)